Fabio Coltorti war Torhüter beim FC Thun, bei GC und in Lausanne. Dazu spielte er in der Primera Division und war Nationaltorhüter. Seit 2012 spielt der 35-Jährige beim deutschen Zweitligisten RB Leipzig. Im EXKLUSIV-Interview spricht der Schweizer Torhüter mit 4-4-2.com über seine Arbeit in Leipzig, seine Zukunft und seine bisherigen Stationen.
Fabio Coltorti spielt Was waren die Highlights Ihrer bisherigen Stationen?
Als ich bei Schaffhausen angefangen habe, gab mir Jürgen Seeberger die Chance, als Fussballer Fuss zu fassen. Der Aufstieg war sehr emotional. Ich habe mich in jeden Verein integriert und mich immer identifizieren können. Als wir mit Thun um den Titel gespielt haben, als ich mit GC zwei Jahre im Europapokal spielen durfte, meine Zeit als Nationalspieler mit der WM 2006 - jede Station hatte ihre Highlights. Spanien war sowieso speziell. Als ich bei Schaffhausen begann, war es ein grosses Ziel von mir Nationalspieler werden und in eine Top-Liga zu wechseln. Dass ich das sechs Jahre später erleben durfte, hätte ich mir damals nicht mal erträumen lassen. Auch wenn ich da auch etwas eigenartige Dinge erleben musste, war es für meine Entwicklung sehr wichtig und positiv, das Fussballerleben in einer südländischen Liga erleben zu dürfen. Ich habe da meine Frau kennengelernt und meine Tochter kam zur Welt. Das war privat die prägendste Phase.
Und dann sind Sie wieder zu einem kleinen Schweizer Verein nach Lausanne gewechselt…
Das war der richtige Zeitpunkt. Im Hinblick auf RB sehr wichtig. RB war schon damals ein Thema aber ich wollte nicht von der Primera Division in die vierte deutsche Liga wechseln. Wenn ich damals zu Verhandlungen angereist wäre und mir ein Wechsel hätte vorstellen müssen, wäre ich vermutlich nicht hierhergewechselt. Es war noch alles im Bau. Und bei einer Absage damals wäre RB ein Jahr später nicht mehr auf mich zu gekommen. Lausanne war deshalb ein wichtiges Zwischenjahr, so konnte ich mich von Leipzig überzeugen. Jede Station hatte schöne Momente und hat spannende Phasen geboten. Es ist eine Bestätigung für mich, weil ich immer auf meinen Bauch gehört habe. Ich würde nochmals alles genau so machen.
Sie haben acht Einsätze im Trikot der Nati gemacht. Sind sie mit dieser Bilanz zufrieden oder hätten Sie aus Ihrer Sicht mehr verdient?
Ich habe in den letzten Jahren eine gewisse Gelassenheit erlangt. Ich bin mit mir im Reinen und habe gelernt, nicht immer wertend zurückzublicken. Es könnte alles besser sein, es könnte aber auch alles viel schlechter sein. Wichtig ist, dass ich mit vollem Herz und Elan hinter dem stehe, was ich mache. Ich durfte mit der Nati an einer Weltmeisterschaft teilnehmen, habe acht Einsätze gemacht und war vier Jahre lang Ersatz-Goalie. Das macht mich stolz.
Können Sie sich vorstellen noch einmal zu einem Klub in die Schweiz zu wechseln?
Stand jetzt ein klares Nein. Aber ich habe gelernt: Sag niemals nie. Ich kann es mir nur sehr schwer vorstellen, nochmals in der Schweiz zu spielen. Erstens altersbedingt, wer will in der Schweiz schon einen 36-jährigen Goalie? Und zweitens weil ich RB eben als eine Art Dessert ansehe und dieses bekanntlich am Schluss kommt. Ich lasse mir natürlich alles offen, kann es mir aber aktuell nicht vorstellen.
Gäbe es einen Verein, bei dem Sie in Ihrer Karriere gerne gespielt hätten?
Ich war nie jemand, der unbedingt mal bei Barcelona oder so spielen wollte. Diese Weltvereine sind eine ganz andere Liga als die Vereine, bei denen ich gespielt hatte. Ich war immer zufrieden, da wo ich war. Ich vermisse nichts und trauere nichts nach. Ich möchte einfach mit RB noch in der Bundesliga spielen, auch weil es wirklich ein toller Club ist. Das wäre noch ein schönes Ausrufezeichen.
Sie verfügen über sehr viel Erfahrung. Welchen Tipp können Sie einem jungen Profi auf den Weg geben?
Entscheidend ist, dass man damit, was man tut, zufrieden ist, das Leben geniesst und positiv eingestellt ist. Ich bin dankbar für alles, zumal ich ja erst mit 21 Jahren in den Profifussball eingestiegen bin. Jetzt, 15 Jahre später, spiele ich bei einem Team, das einen Zuschauerschnitt von 30‘000 vorweisen und grosse Ziele erreichen kann. Ich freue mich auf alles, was noch kommt.
Sie haben viel erlebt, so haben Sie etwa mit einem Torhüter-Tor für Schlagzeilen gesorgt und in Ihrer Karriere nicht immer die naheliegenden Wechsel und Wege gewählt. Was war der bisher schönste Moment?
Die Geburt meiner Tochter übertrifft alles. Sportlich gibt es keinen speziellen Moment, den ich ganz besonders herausstreichen würde. Das Tor, das ich erzielen durfte, erzeugte eine riesige Resonanz bei den Fans und Medien. Als Torhüter war das sicher eine sehr spezielle Erfahrung. Aber auch die Aufstiege hier in Leipzig waren sehr emotional. Wenn wir diese verpasst hätten, hätte dies für mich jeweils das Karriereende bedeuten können. Dass ich unter diesem Druck Top-Leistungen erbracht habe, freut mich enorm. In Spanien gegen Real Madrid oder Barcelona zu spielen und mit Santander das Pokal-Halbfinale zu erreichen, war grossartig. Ich durfte immer in Mannschaften spielen, in denen ein super Teamgeist herrschte und ich mit Freunden spielen konnte. Wenn du viel erreichst und dazu noch Leute um dich herum hast, die das Heu auf der gleichen Bühne haben, dann ist das einfach schön.
Gianluigi Buffon spielt mit 38 Jahren noch in der Champions League und will bis 40 spielen. Sie sind jetzt 35-jährig. Wie sieht ihre Planung aus?
Ich habe gelernt, nicht zu planen. Es gibt zu viele Faktoren, die man nicht beeinflussen kann, Verletzungen zum Beispiel oder die Planung des Vereins. Dank der Möglichkeit, die mir dieser Club bietet, mich sehr individuell zu verbessern und zu trainieren, fühle ich mich heute so fit wie vor etwa sechs Jahren. Ich kann es mir sehr gut vorstellen, noch zwei oder drei Jahre zu spielen. Ich freue mich aber auch schon auf die Zeit nach meiner Karriere. Meine Frau und meine Tochter leben in Marbella (Spanien). Nach der Aktivkarriere kann ich meine Familie richtig geniessen. Aber solange ich es hier geniesse und Freude daran habe, hier Fussball zu spielen und es auch sportlich Sinn macht, kann ich mir durchaus vorstellen, dass ich noch einige Male verlängern werde, aber nicht unter Zwang. Solange ich hier Freude habe, ist es gut und wenn es nicht mehr so ist, dann mache ich mir neu Gedanken.
Wo möchten Sie in Zukunft leben?
Meine Tochter geht jetzt schon einige Jahre in Spanien zur Schule. Zwar besucht sie eine internationale Schule, wodurch wir nicht an Marbella gebunden wären. Direkt nach der Karriere werde ich aber erst einmal dort leben. In Zukunft ist dann alles möglich. Wie gesagt plane ich nicht. Meine Frau und ich können uns auch vorstellen neue Länder kennenzulernen und möglicherweise sogar auszuwandern. Vielleicht entscheiden wir nach zwei Jahren in Marbella, dass Zeit für etwas Neues ist. Vielleicht bleiben wir aber auch bis unsere Tochter aus der Schule kommt. Wir haben Freunde auf der ganzen Erdkugel, wir wollen dann unsere neu gewonnene Freiheit geniessen und schauen, was sich ergibt. Ich weiss nicht, wo ich in zehn Jahren leben werde, das müssen wir dann nochmal miteinander bereden.
Sie können sich also grundsätzlich auch vorstellen, Europa zu verlassen?
Ich bin nicht so begeistert von den westlichen Kulturen. Hier geht vieles um Erfolg, Macht und Geld. Das liegt mir nicht so sehr. Viele haben diese Wahl nicht, wo sie leben möchten. Aber wenn ich eben diese Möglichkeit habe, kann ich mir vorstellen, an einem anderen Ort zu leben. Es ist zwar nicht geografisch abhängig, aber ich wünsche mir ein Umfeld aus Mitmenschen, die mir ähnlich und wertschätzend sind. Freunde eben. Es geht mir weniger um das Optimieren des Lebensstandards als um die Leute, die an meinem Leben teilhaben.
Wie sieht es beruflich aus? Wollen Sie im Fussball bleiben oder planen Sie eine Auszeit vom Sport?
Ich habe viele Ideen aber noch nichts Festes. Wenn ich aufhöre, möchte ich auf die Suche gehen. Einerseits will ich neue Orte und Menschen kennenlernen. Andererseits möchte ich etwas finden, für das ich am Morgen aufstehe und an dem ich Freude habe. So wie es jetzt der Fussball ist. Stand jetzt wird es nicht mehr unbedingt mit Fussball zu tun haben. Aber in zwei Jahren habe ich vielleicht eine andere Idee.
Interview von David Simmen